Polychromasie

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Polychromasie bezeichnet eine unterschiedliche Anfärbbarkeit von Zellen mit histologischen Farbstoffen. In der Hämatologie ist damit die Anfärbung der Erythrozyten (roter Blutkörperchen) gemeint. Dabei werden Substanzen im Zellinneren gefärbt, die normalerweise bei reifen Erythrozyten nicht mehr vorhanden sind. Daher deutet das Phänomen der Polychromasie auf eine Störung bei der Bildung der roten Blutkörperchen hin.

Polychromasie

Was ist Polychromasie?

Normale rote Blutkörperchen erscheinen in gefärbten Blutausstrichen zartrosa und lassen sich leicht von den anders gefärbten weißen Blutkörperchen unterscheiden. Bei einer Polychromasie finden sich innerhalb einiger Erythrozyten blaue Strukturen, die sich gegen den hellen Rosaton deutlich abheben. Meist tritt sie zusammen mit einer basophilen Tüpfelung auf, bei der ebenfalls gefärbte Punkte im Zytoplasma zu finden sind. Normgerecht angefärbte Erythrozyten bezeichnet man als orthochrom.

Polychromasie – Das Wichtigste auf einen Blick!

  1. Als Polychromasie bezeichnet man das Auftreten unterschiedlich aussehender roter Blutkörperchen bei der Untersuchung eines gefärbten Blutausstriches.
  2. Normale Erythrozyten färben sich rötlich, wohingegen polychromatische Erythrozyten blaue Strukturen enthalten.
  3. Sie ist darauf zurückzuführen, dass im Inneren der Erythrozyten noch Elemente vorhanden sind, die normalerweise bei der Reifung der Zellen abgebaut werden.
  4. Daher ist Polychromasie ein Hinweis auf eine gestörte Erythropoese.
  5. Sie tritt bei Bleivergiftungen und verschiedenen hämolytischen Anämien auf.
Zelluntersuchung
Zelluntersuchung unter dem Mikroskop im Labor Copyright: trans961, Bigstockphoto

Wieso färbt man Blut für hämatologische Untersuchungen an?

Menschliche Zellen sind mit wenigen Ausnahmen bei der mikroskopischen Untersuchung durchsichtig. Der Kontrast zwischen dem Licht, das durch das Gewebe fällt und dem, das ungehindert daran vorbei leuchtet, reicht bei der geringen Menge an Material nicht aus. Das gilt ebenso für Blutkörperchen.

Daher muss man für eine mikroskopische Untersuchung die Zellen mit speziellen Farbstoffen anfärben, wenn man diesen Kontrast erhöhen will. Histologische und zytologische Farbstoffe haben zudem die Eigenschaft, dass sie unterschiedliche Strukturen innerhalb der Zelle anfärben, so dass man nicht nur die Zellen selbst erkennt, sondern auch Elemente im Zytoplasma darstellen kann.

Beim Blut geschieht diese Färbung meistens mit der sogenannten panoptischen Färbung nach Pappenheim, einer Methode, welche die roten und weißen Blutkörperchen und ihr Innenleben unterschiedlich färbt und sie so unterscheidbar macht. Das Verfahren verwendet eine May-Grünwald-Färbung und eine Giemsa-Färbung und liefert jene schönen bunten Bilder, die wir alle von Blutausstrichen kennen.

Die enthaltenen Farbstoffe Eosin, Methylenblau und Azur bezeichnet man als basische und saure Farbstoffe. Je nachdem welchen Farbstofftyp eine Struktur oder Zelle bevorzugt aufnimmt, bezeichnet man sie als basophil (basische Farbstoffe liebend), azidophil oder eosinophil (sauren Farbstoffe wie beispielsweise Eosin aufnehmend) oder neutrophil (sich neutral anfärbend). Diese Begriffe stecken auch hinter den basophilen, neutrophilen und eosinophilen Granulozyten.

Woher kommt die Polychromasie?

Normale, orthochrome Erythrozyten sind eosinophil, das heißt sie färben sich mit dem sauren Farbstoff Eosin an. Daher der Rosaton bei der Pappenheim-Färbung.

Dagegen färben sich ihre Vorstufen, die Retikulozyten, auch mit basischen Farbstoffen. Das liegt daran, dass diese unreifen Formen noch große Mengen an RNA und Ribosomen enthalten, die ausgereiften Erythrozyten fehlen. RNA wird durch Methylenblau und Azur bläulich-violett.

Findet man im Blutausstrich polychromatische Erythrozyten, handelt es sich um frühe Retikulozyten, die noch RNA enthalten. Man bezeichnet diese Strukturen als Substantia granulofilamentosa. Bereits im ersten Reifestadium im Knochenmark, das etwa drei Tage dauert, ist diese in den Retikulozyten nachweisbar und bleibt es noch einen Tag lang, nachdem die Zellen an die Blutbahn abgegeben wurden. Wegen der überwiegenden Entwicklung im roten Knochenmark bezeichnet man die polychromatischen Erythrozyten oder Retikulozyten auch als Markretikulozyten.

Was sind die Ursachen einer Polychromasie?

Polychromasie bedeutet, dass die Bildung der roten Blutkörperchen anders verläuft als normal. Meistens ist das darauf zurückzuführen, dass viele neue Erythrozyten aus dem Knochenmark nachgeliefert werden, vor allem bei schweren Blutverlusten oder wenn sich die Zellen bei einer hämolytischen Anämie zersetzen.

Eine der häufigeren Ursachen der hämolytischen Anämie ist die akute Bleivergiftung. Durch die Schwermetallionen lösen sich immer mehr rote Blutkörperchen auf, die das Knochenmark schnellstmöglich zu ersetzen versucht. Daher treten bei einer akuten Bleiintoxikation vermehrt Retikulozyten, Cabotringe und polychromatische Erythrozyten im Blut auf. Hinzu kommen ein Überschuss an weißen Blutkörperchen (Leukozytose) sowie das Auftreten von Howell-Jolly-Körperchen im Zytoplasma der Erythrozyten.

Andere Ursachen betreffen direkt die blutbildenden Zellen im Knochenmark, etwa infolge einer Myelofibrose oder beim Wachstum von Metastasen anderer Tumoren im Knochenmark (Knochenmarkmetastasen).

Quellen, Links und weiterführende Literatur

  • Differentialdiagnostik von Anämien Bedeutung der Erythrozytenmorphologie Dr. C. Thomas Nebe, Hämatologie-Labor Mannheim abgerufen↑ PDF
  • Herbert Harms: Handbuch der Farbstoffe für die Mikroskopie in drei Bänden. Kamp-Lintfort 1957: Staufen-Verlag. (zum Buch)
  • Mathias Freund: Praktikum der mikroskopischen Hämatologie. 11. Auflage. Göttingen 2008: Urban & Fischer/Elsevier-Verlag. ISBN-10: 3437450395
  • Maria Mulisch, Ulrich Welsch: Romeis – Mikroskopische Technik. 19. Auflage. Stuttgart 2015: Springer-Verlag. ISBN-10: 3642551890.
  • Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 266. Auflage. Berlin 2014: Walter de Gruyter-Verlag. ISBN-10: 3110339978.
  • Roche Lexikon Medizin. 5. Auflage. München/Jena 2003: Urban & Fischer/Elsevier-Verlag. ISBN 3-437-15072-3.
  • Kociba GJ: Erythrocytes. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 1989 Jul;19(4):627-35. Review.
  • Grawé J, Zetterberg G, Amnéus H: Flow-cytometric enumeration of micronucleated polychromatic erythrocytes in mouse peripheral blood. Cytometry. 1992;13(7):750-8.
  • Mirkova E, Ashby J: Relative distribution of mature erythrocytes, polychromatic erythrocytes (PE) and micronucleated PE on mouse bone-marrow smears: control observations. Mutat Res. 1987 Aug;182(4):203-9.